"Der in Gott vertraut, der ist wie ein Baum, an Wasserbächen gepflanzt: Er bringt seine Frucht zu seiner Zeit, und seine Blätter welken nicht. Alles, was er tut, gerät ihm wohl."
- Psalm 1
„Ein Weiser wurde gefragt, welches die wichtigste Stunde sei, die der Mensch erlebt, welches der bedeutendste Mensch, der ihm begegnet, und welches das notwendigste Werk sei. Die Antwort lautete: Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch immer der, der dir gerade gegenübersteht, und das notwendigste Werk ist immer die Liebe.“
-Meister Eckhart
"Was Gott ist, weiß man nicht. Er ist nicht Licht, nicht Geist,
Nicht Wahrheit, Einheit, Eins, nicht was man Gottheit heißt.
Nicht Weisheit, nicht Verstand, nicht Liebe, Wille, Güte,
Kein Ding, kein Unding auch, kein Wesen, kein Gemüte.
Er ist, was ich und du und keine Kreatur,
Eh wir geworden sind, was er ist, nie erfuhr."
- Angelus Silesius
Mit dem Körper glauben
Auf die Frage, wo denn der Geist des Menschen im Körper verortet werden könne, würden wahrscheinlich viele antworten: «Der ist im Kopf zu finden». Und es stimmt: Intellekt, Rationalität und das Denken als solches werden in unserer Gesellschaft grossgeschrieben. Doch was ist mit dem Rest des Körpers? Ist der vollkommen geistlos?
Auch im reformierten Gottesdienst spielt die Rationalität eine nicht zu verachtende Rolle. Das Wort steht bei uns im Zentrum und vieles andere, was unsere restlichen Körpersinne ansprechen könnte, wird seit der Reformation eher mit Skepsis und Unbehagen beäugt. Natürlich auch zu Recht. Und doch scheint mir, dass durch die einseitige Fokussierung auf das Wort und den Verstand – zumindest ein Stück weit – das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Was dabei nämlich oft vollkommen aus dem Blick gerät, ist unser menschlicher Körper.
Blickt man in die Geschichte des Christentums, kann man rasch feststellen, dass dem nicht immer so war. Denn was heute wieder verstärkt in den Blick der Forschung gerät, war für die Meisterinnen und Meister der Kontemplation und Meditation schon lange klar – Körper und Geist lassen sich nur schlecht voneinander trennen. Mehr noch: sie beeinflussen sich wechselseitig.
Meditation hat in unseren Breitengraden vor allem einen exotischen Touch. Gar schnell wird sie mit fernöstlicher Spiritualität in Verbindung gebracht und das ist sicherlich auch nicht falsch. Trotzdem ist das nur die eine Seite der Medaille, denn Meditation hat ihre Wurzeln ebenso im Christentum und ist deshalb zutiefst mit dem Glauben verwoben.
Bereits zu Zeiten des Johannes Cassian (360-435 n. Chr.) spielte die Meditation in Form tiefer mystischer Versunkenheit eine grosse Rolle. Cassian hat aus der Wüste Ägyptens und den dort lebenden Mönchen und Nonnen das sogenannte Ruhegebet mitgebracht. Bei dieser Gebetsform sitzt man ganz still, nimmt bewusst den Körper und den Atem wahr und wiederholt eine kurze Gebetsformel. Das führt zu tiefer innerer Stille und einem inneren Frieden.
Über die Jahrhunderte hinweg wurden solche und ähnliche Gebets- oder Meditationsformen in den christlichen Klöstern geübt, gepflegt und weitervermittelt. Viele christliche Mystikerinnen und Mystiker verweisen immer wieder auf die tiefen Erfahrungen mit Gott, die sie durch solche Gebetsformen gemacht haben. Neben bekannten Mystikern wie Marguerite Porete, Meister Eckhart und Johannes Tauler (letztere wurden sehr geschätzt von Martin Luther), gibt es auch in der reformierten Tradition grosse Persönlichkeiten, die man als Mystiker bezeichnen kann.
Einem davon begegnet man regelmässig in den reformierten Gottesdiensten. Nämlich immer dann, wenn wir «Gott ist gegenwärtig» unter der Nummer 162 im Gesangbuch singen. Dort kann man, z.B. in Strophe 4 rasch das Erbe der Mystik ausfindig machen:
Wunder aller Wunder:
ich senk mich in dich hinunter.
Ich in dir, du in mir,
lass mich ganz verschwinden,
dich nur sehn und finden.
Es gäbe noch viele nennenswerte Beispiele und leider ist dieser Teil unserer Tradition ein wenig in Vergessenheit geraten. Doch die Botschaft der Mystikerinnen und Mystiker ist heute vielleicht aktueller denn je: Es lohnt sich, sich regelmässig in die Stille zu begeben, ganz still zu werden, den Körper und den Atem wahrzunehmen und zu horchen, was Gott zu sagen hat. Nicht nur mit dem Kopf, sondern mit dem gesamten Körper.
Denn: Glauben ist auch eine Körperübung.